In keinem tunesischen Haushalt fehlt ein Kanoun, das kleine Holzkohleschälchen aus Ton, dessen oberer Rand in drei kräftigen, nach oben hin verbreiteten Zacken endet. Diese sind gelegentlich mit groben, schwarzen Ornamenten bemalt. Manche Wissenschaftler sehen im dickwandigen, schüsselartigen Tongefäß ein Überbleibsel aus phönizischer Zeit.
Das Wort kanoun, kanun oder qanûn ist ein arabischer Begriff, der aus dem Griechischen κανων (kanôn) abgeleitet wurde und übrigens “Gesetz” bedeutet.
“Nachmittags stellten viele ihr Kanoun vor das Haus. Der Geruch der dort durch die schmalen Gassen waberte war etwas ganz besonderes,” erzählt Raja und schwelgt in Kindheitserinnerungen.
Kanoun als Heizung
Als Brennmaterial dient Holzkohle vom, ursprünglich vom Olivenholz. Das war wichtig, weil das Kanoun in besonders in ländlichen Gegenden nur der einzige Wärmespender im manchmal sehr kühlen tunesischen Winter war.
Kanoun in der tunesischen Küche
Nicht nur in Tunesien, sondern gleichermaßen in Westafrika wie Senegal oder Mali ist es verbreitet. Auch in der marokkanischen und algerischen Küche nutzen es einige Hausfrauen noch regelmäßig.
Man nutzt es zugleich als Herd und Grill. Selbst in in der Stadt, wo jeder eine “normale” Küche mit Gas- oder Elektroherd besitzt, greift die Dame des Hauses gerne mal im GArten oder auf dem Balkon zu ihrem Kanoun. In jenen tunesischen Familien, die ihre Traditionen in Ehren halten, kocht man gerne mal über dem Kanoun. Fleisch brät man, indem man das Tongefäß mit einem Rost bedeckt. Gemüse dagegen wird direkt in der heißen Asche gebacken, zum Beispiel Kartoffeln, Auberginen und Tomaten.
Die tunesische Spezialität Slata Mechwia, der scharfe, gegrillte Salat aus Tomaten, Peperonie, Zwiebeln und Knoblauch schmeckt besonders gut, wenn sie auf diese Art zubereitet wird – die Holzkohle macht’s!
Kanoun für das tunesische Herrengedeck
Aber nicht nur in der Küche findet man das Kanoun. Wenn sich die Männer in Gruppen bei einem Schwätzchen zusammensetzen, steht ein Kanoun zwischen ihnen und die Holzkohlenasche hält in den landesüblichen bauchigen Teekännchen den sirupartigen, süßen Tee warm.
Und wenn man schon dabei ist, darf die allabendliche Shisha nicht fehlen. Wo lässt sich wohl leichter die Kohle für die tägliche Wasserpfeife zum Glühen bringen, als in der robusten Tonschale?
Kanoun zum Räuchern
Der typische Geruch, den man in vielen tunesischen Häusern wahrnimmt, ist zurückzuführen auf das sogenannte Bkhour, eine Mischung verschiedener Zutaten wie Sandelholz, Weihrauchharz und natürliches ätherisches Öl. Sobald sie im Kanoun in der heißen Glut erwärmt werden, verbreitet sich der wohlduftende, aber oftmals sehr schwere Geruch.
Kanoun und der Aberglaube
Eine solche Mischung wird nicht nur zum zum seelischen Wohlbefinden sondern auch traditionell für Weihen und Reinigungsrituale aller Art verwendet. So soll es den bösen Blick von zu Hause abwehren, was seine die obligatorische Verwendung bei allen Festen wie Hochzeiten, Beschneidung usw. erklärt.
Wenn ein Mensch vom „bösen Blick“ getroffen wurde und sich ohne erkennbare Ursache plötzlich unbehaglich oder krank fühlt, so streut man über die Holzkohlenglut Weihrauch und lässt diesen verbrennen. Und während aus dem kleinen Kanoun der Duft aufsteigt, sollte der Erkrankte sieben mal das dreizackige Gefäß umkreisen während das Familienoberhaupt aus dem Koran rezitiert und Allah um Heilung bittet.
Man sagt, das Feuer im Kanoun sollte eigentlich niemals ausgehen. Wenn man es nicht mehr braucht, deckt man die restlichen Kohlen mit Asche zu und lässt sie weiter klemmen. Geschieht es aber dass durch eine Unaufmerksamkeit die letzte Glut erlischt, so bittet man den Nachbarn um ein paar glühende Kohlen.
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