„Die Zunge ist die Übersetzerin des Herzens.”
Arabisches Sprichwort
Nachdem wir sämtliche Einkäufe im Souk erledigt haben, lassen wir uns erschöpft im Café ElSour, einem unserer Lieblingscafes mitten in der Medina von Tunis nieder und bestellen süßen Tee mit Pinienkernen und Limo. Den Trubel in den engen Gassen der Medina lassen wir nun einfach an uns vorbeiziehen. Über die krächzenden Boxen lauschen wir der typischen Teestubenmusik.
Auch wenn es für die meisten europäischen Ohren ungewohnt klingt, liebe ich diese alte Musik. Ich fühle mich irgendwie „daheim“ und auch Raja hat seine ganz eigenen Assoziationen insbesondere mit dem Lied „Taht el Yasmina fellil“ von Hédi Jouini. „Das lief damals, als ich noch Kind war im Radio und meine Oma hat beim Kochen immer laut dazu mitgesungen“, sagt Raja und schwelgt in Erinnerungen.
In unmittelbarer Nähe, am Tor Bab Jdid, also quasi am Eingang zur Medina, wuchs einer der berühmtesten tunesischen Musiker des 20. Jahrhunderts auf, der nun unser beider Seelen baumeln lässt. Hédi Jouini gilt als einer der bekanntesten Sänger und Komponisten Nordafrikas und wurde sogar vom damaligen Staatsoberhaupt Habib Bourguiba zweifach für seinen Beitrag zur Bereicherung des tunesischen Kulturerbes ausgezeichnet.
„Mama war in jungen Jahren mit Samia, einer Tochter des Sängers, befreundet, bis sie selbst heiratete und nach Deutschland kam. Samia wanderte damals in die USA aus. Die beiden hatten sich damals über die Familien kennengelernt”, erzählt Raja weiter. Solche Geschichten finde ich herrlich spannend!
Samias Mutter Ninette war Jüdin. Als sie und Hédi sich damals bei einem Filmdreh ineinander verliebten und heirateten, war das fast ein kleiner Skandal. Bis die Deutschen anfang der 1940er Jahre in Tunesien einmarschieren, lebten hier Juden, Christen und Muslime zwar friedlich Tür an Tür, aber dennoch heiratete man eigentlich nicht unbedingt jemanden mit anderem religiösen Hintergrund. In vielen seiner emotionalen Liedtexte verewigte er die starke Liebe zu seiner Frau und Mutter seiner 6 Kinder. Ninette war unter dem Namen „Wided” selbst eine außergewöhnliche Künstlerin. Bereits mit 13 Jahren sang sie auf Bühnen in Tunis – eigentlich war das zu der Zeit für ein Mädchen diesen Alters ungewöhnlich – doch ihre Mutter erlaubte dies. Obwohl Tunesien dank Bourguiba stets Vorreiter in Bezug auf die Rechte der Frauen war, gab Ninette nach der Geburt ihres ersten Kindes mit Hédi aus sozialen, kulturellen, patriarchalen Gründen ihre Träume, Sängerin zu werden, auf. Sie war eine starke und beeindruckende Frau mit einem fantastischen Sinn für Humor und vielen anderen guten Eigenschaften.
Da der Kontakt zwischen Rajas Mama und ihrer Freundin Samia bedauerlicherweise irgendwann abbrach, beginnen wir über den einstigen tunesischen Superstar aus Neugier zu recherchieren, denn diese Lieder sind nach wie vor tief in der Gesellschaft und Kultur verwoben. Er hat Kultstatus in Tunesien, seine Lieder inspirieren auch heute noch Revolutionäre und Konservative gleichermaßen, stehen im Zentrum des postkolonialen sozialen und politischen Umbruchs Tunesiens und seiner anhaltenden Suche nach Identität auch nach dem Arabischen Frühling.
Eine seiner in England ansässigen Enkeltöchter Claire erfährt erst im Erwachsenenalter durch einen Zufall, wer ihr berühmter Großvater ist. Sie reist nach Tunesien, geht dort auf Spurensuche und setzt sich mit ihren Wurzeln auseinander. Hédi lebt zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Nur 3 Jahre nach seinem letzten Auftritt beim Internationalen Festival in Karthago 1987 verstarb er. Es dauert schließlich über Jahre, die teils komplizierte Familiensaga mit Konflikten, Bedauern und letztendlich Versöhnung wie ein Puzzle zusammenzusetzen und zu verstehen sowie ein gutes Verständnis zu bekommen, wer ihr Großvater war.
Er war sehr offen und modern in seiner Denkweise – von seiner schwierigen und für die damalige Zeit ungewöhnliche Erziehung bis zu hin seinen musikalischen Begabungen und seinem Pioniergeist. Seine Texte waren für die damalige Zeit sehr gewagt, teils rebellisch und gleichzeitig zutiefst traditionell und nationalistisch, denn Hédi liebte sein Land. Er war bescheiden und demütig. Seine Familie spricht sehr gerne von ihm und erinnert sich an lustige Geschichten über seine Exzentrizitäten und seinen Humor.
Claire, die Tochter von Hédis ältestem Sohn, ist heute selbst Filmemacherin und erzählt in dem 2018 erschienen Film „The man behind the microphone” die unglaubliche Geschichte ihres Großvaters, seiner Musik und bietet faszinierende Einblicke in die Familie und die kulturelle Entwicklung Tunesiens.
Wir sind gespannt und freuen uns darauf, so bald wie möglich den Film zu sehen!
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