Auf der Avenue Habib Bourguiba, in der Nähe der Kathedrale laufen wir immer wieder an einem unscheinbaren Ladenlokal vorbei, bis uns Rajas Cousine Asma darauf aufmerksam macht, dass hier stets eine Art Mini-Messe des Handwerks stattfindet, wo traditionelle Produkte und wechselnde Betriebe aus der Region sich vorstellen. Unsere „Suche“ gilt in erster Linie wie immer eigentlich Textilien und Wellnessprodukten, doch diesmal bleiben wir an einem Stand für Töpferwaren stehen und bewundern wunderschöne Keramiken im Berberstil, liebevoll verzierte Puppen, Schalen und Tajine. Schnell kommen wir mit Halima und Hanan ins Gespräch und sie berichten uns von Sejnane, ihrem Heimatdorf, ihren Müttern, Tanten und Großmüttern und der Tradition des Töpferns.
Im kleinen 5.000-Seelen-Dorf, etwa 60 km östlich von Tabarka entfernt, umgeben von saftig grünen Hügeln im Norden Tunesiens, stellen die Frauen auf traditionelle und primitive Art des Modellierens, Brennens und Dekorierens seit Jahrhunderten naive und originelle Töpferwaren her. In dieser Region wurden über mehrere Generationen hinweg die handwerklichen Keramiktechniken von Müttern zu Töchtern weitergegeben, um ganz ohne Töpferscheibe perfekt geformte Teller, Töpfe und Vasen herzustellen oder dekorative Figuren aus Ton zu formen. Hanan berichtet, dass ihre Großmutter seit ihrem achten Lebensjahr töpferte. „Sie ist in diese Sache hineingeboren worden“, fügt sie hinzu. „Meine Großmutter hat Keramikgeschirr zuhause für den täglichen Gebrauch der Familie hergestellt. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war das in dieser Region üblich. Oftmals waren es früher Bäuerinnen, die im Frühling vor der Ernte durch das Töpfern ihren Beitrag zum täglichen Überleben der Familien sicherten, indem sie die Keramikschalen und -gefäße auf Märkten und angrenzenden Straßen verkauften und so für ihre teils künstlerischen Tonarbeiten über die regionalen Grenzen hinaus bekannt wurden.
Das Töpferhandwerk der Frauen in Sejnane ist einzigartig
In dieser Region gibt es überall Lehm; man muss nur ein Loch in den Boden graben, um ihn zu extrahieren. Je nach gewünschter Farbe der Keramik verwenden die Töpferinnen weiße oder rote Tonerde als Basis sowie natürliche (Pflanzen-)Farbstoffe aus den umliegenden Hügeln. Die rohe Tonerde wird zunächst gewaschen und von ihren Verunreinigungen befreit, dann mit fein gemahlenen Keramikscherben geknetet und schließlich von Hand geformt. Als nächstes wird das Objekt mit einer Muschelschale glatt poliert und an der Luft getrocknet.
„Zum Brennen der Keramik nehmen wir schlichtweg getrocknete Zweige und Kuhdung und legen die Keramiken in die heiße Glut“, erzählt Halima und muss lachen, als sie bemerkt wie interessiert wir ihren Ausführungen lauschen. (Mit Kuhdung können wir „Stadtmenschen“ sicherlich nichts anfangen…)
Schließlich dekorieren die Töpferinnen ihre Arbeiten mit grafischen Berbermustern, ähnlich wie bei der traditionellen Bekleidung, Kelims und Tätowierungen. Sie bemalen Vasen, Teller und Platten mit sehr alten Symbolen wie Palmen, Schildkröten, Fischen und verwenden dabei einfache Werkzeuge wie kleine Stäbchen, Brettchen oder Muscheln. Wenn die Keramik auf der Oberfläche geschwärzt werden soll, wird sie nach dem Brennen noch heiß mit Holzresten bedeckt. Wenn es jedoch darum geht, schwarze Muster zu zeichnen, verwenden die Frauen Linsenpulver.
„Unser Dorf liegt idyllisch von Hügeln und Seen umgeben und ist auch für seinen kleinen französischen Bahnhof sowie für seine Störche, die in den Ruinen einer alten Fabrik nisten, bekannt”, berichten die beiden jungen Frauen uns enthusiastisch mit einem Funkeln in den Augen und laden uns zu einem Besuch bei ihren Familien ein. Insha Allah! Mit Sicherheit werden wir dort irgendwann das ein oder andere schöne Stück für uns oder als Mitbringsel für Freunde in Deutschland kaufen. Töpfereien, wie die Tajine, können hervorragend zum Schmoren und Kochen genutzt werden. In der Tat werden diese dem ein oder anderen zunächst primitiv erscheinenden Keramikutensilien während der wiederholten Verwendung – insbesondere auf einem Gasherd, den ich so gerne auch daheim hätte – immer robuster. Mittlerweile ist die Tajine – vergleichbar mit einem Römertopf – auch hierzulande bekannt. Ich persönlich schätze die Tajine vor allem wegen seiner fettarmen, gesunden und schonenden Zubereitungsmöglichkeiten und kann mich selbst hier im „Showroom“ unter der doch begrenzten Auswahl schon kaum entscheiden.
Es ist alles Handarbeit und kein Stück sieht aus wie das andere. Alle Keramiken sind einzigartig. Die 100% handwerkliche, traditionelle Herstellung mit Rohstoffe direkt aus der Natur dieser Töpfereien könnte besten Gewissens das Etikett „Öko“ tragen.
In den letzten etwa 5 Jahrzehnten sank durch den allgemeinen Lebenswandel leider die Nachfrage. Traditionelles Koch- und Essgeschirr aus Ton wurde ersetzt durch preiswerte, industriell hergestellte Metall-, Kunststoff- oder Glasutensilien. Die Töpferinnen aus Sejnane stellten somit auch ihre Produktion um auf die dekorative Keramik. Der jungen Generation fehlt es oftmals an Geduld und Interesse am Handwerk und auch Touristenbesuche blieben insbesondere nach der Jasminrevolution aus.
Traditionelles Handwerk stärken
Es ist schön zu sehen, dass auch andere Menschen wie Halima und Hanan unsere Wertvorstellung und denselben Wunsch teilen: den Wunsch, das traditionelle Fachwissen anzuerkennen, zu fördern und zu sichern. Es ist beeindruckend, dass immer noch Frauen die treibende Kraft für das Überleben dieses Handwerks sind. Sie nutzen kreativ die Elemente ihrer natürlichen Umgebung. Die Dekorationen sind einfach, aber spezifisch, was ihre Arbeit von anderen unterscheidet.
In den letzten Jahren haben sich einige Interessengruppe zur Organisationen Unterstützung der Töpferinnen aus Sejnane gegründet. Auf diese Weise können die Frauen ihre Kräfte bündeln und gleichzeitig ihre Autonomie bewahren. Mittlerweile werden sogar Töpferworkshops für Kinder und Erwachsene angeboten, die von zwei bis drei Sejnane-Frauen geleitet werden.
2018 wurde sogar erfreulicherweise das über Jahrhunderte gepflegte Wissen und traditionellen Handfertigkeiten der Sejnane-Töpferinnen zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Diese Anerkennung sollte dazu beitragen, Projekte für nachhaltige Entwicklung zu etablieren, da sie diese arme Region sichtbar machen wird.“